Eine Mauer gegen die Kriegsgefahr

Mit dem 40. Jahrestag des "Mauerbaus", der Sicherung der Staatsgrenze der DDR, treibt die hysterische Verurteilung der DDR einem neuen Höhepunkt entgegen. Jede Gelegenheit wird genutzt um die Legende vom Unrechtsstaat aufrechtzuerhalten. Die Front der Scharfmacher reicht von rechts außen bis Mitte-links.

Es ist dabei auch nicht zu übersehen oder zu überhören, dass "demokratische Sozialisten" die Orientierung verloren haben: Da wird von der schrecklichen Mauer gesprochen, die nur errichtet worden sei, um das Volk bei der Stange zu halten. Ein tiefer Schock habe westliche Politiker befallen. Lautstark ist die Rede von permanenten Menschenrechtsverletzungen durch die DDR, die deshalb an den Pranger müsse. Bei einer solchen Argumentation braucht man keine Analyse, was denn eigentlich zu den Maßnahmen von 13. August 1961 führte. Hinweise auf historische Hintergründe würden nicht ins Klischee vom "Unrechtsstaat" DDR passen.

Ein wenig Nachhilfe sei gestattet.

In diesem Sommer 1961 gab es Gründe genug, den Ausbruch eines heißen Krieges zu befürchten. Seit der Gründung der beiden deutschen Staaten baute die Adenauer-Regierung - mit alten Nazis in Ministerwürden und Hitleroffizieren an den Schaltstellen der Bundeswehr - mit Hilfe der USA den westdeutschen Staat zum militarisierten Brückenkopf gegen die DDR und die anderen sozialistischen Staaten aus. Reaktionäre westdeutsche Politiker forderten sogar lautstark die Verfügungsgewalt über Atomwaffen für die Bundeswehr. Alle Vorschläge des sozialistischen Lagers zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten bis hin zur Bildung einer Konföderation hatten Bonn und Washington vom Tisch gewischt.

Es ging mit der Schließung der DDR-Grenze durchaus nicht nur darum, das wirtschaftliche Ausbluten der DDR durch Wechselkursmanipulationen zu stoppen und um die Verhinderung einer "Fluchtbewegung". Spitzenpolitiker, hohe Militärs und Geheimdienstler der BRD planten mit Unterstützung reaktionärer, entspannungsfeindlicher Kräfte der USA Ende der 50er Anfang, der 60er Jahre einen "kleinen Krieg" oder "begrenzten Krieg" gegen die DDR. Der Staat des Sozialismus auf deutschem Boden sollte, flankiert von der atomaren Drohung gegen die UdSSR, mit politischen und militärischen Zangenmaßnahmen "zerquetscht" werden. Drei Stoßkeile der Bundeswehr, bestehend aus sieben Divisionen, sollten die DDR in Nazi-Blitzkriegsmanier innerhalb von 24 Stunden überrollen. Ein Keil aus dem Raum Hamburg in Richtung Rostock für den nördlichen Teil, ein zweiter aus dem Raum Hannover unter Umgehung Berlins, in Richtung Frankfurt/Oder und schließlich der dritte aus dem Raum Bayern entlang der Grenze zur Tschechoslowakei bis in die Lausitz an die Grenze der Volksrepublik Polen. Mit diesen militärischen Vorstößen sollte die DDR ausgelöscht werden. Die Sowjetunion werde, so ein amerikanischer Stratege, für die DDR keinen atomaren Krieg riskieren. Zur Vorbereitung dieses Unternehmens organisierten die Geheimdienste der BRD und der USA eine intensive subversive Tätigkeit gegen die DDR. Ein großangelegter Menschenhandel mit gezielter Kopfgeldjägerei wurde betrieben. Alles mit dem Ziel, die DDR zu destabilisieren. Die Feinde des neuen Deutschlands taten alles, um die DDR sturmreif zu machen. Westberlin, das unter Besatzungsrecht der USA, Großbritannien und Frankreich stehende Gebiet inmitten der DDR, war mit über 80 Geheimdienststellen und Agentenzentralen, mit Zentren der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR-Bevölkerung und anderen Einrichtungen zur "Klinke an der Tür nach dem Osten", zur billigsten "Atombombe" oder auch zur "Falltür" für DDR-Bürger mutiert. In diesem "Schaufenster des Westens", als "Pfahl im Fleisch der DDR" 250 km von der westlichen und kaum 100 km von der östlichen Grenze der DDR gelegen, tummelten sich Entspannungsgegner, Kriegstreiber, alte Nazis und ihre Agenten. Belege dafür sind genug in den Archiven zu finden.

Aus heutiger Sicht fand dieses Treiben einen Nährboden in der Tatsache, dass es tatsächlich Defizite in Menschenrechtsfragen gab. Sie waren den Gegebenheiten eines kalten Krieges geschuldet, der oft genug die Züge eines heißen trug. Sie fanden durchaus ihre Entsprechung im Vorgehen der imperialistischen Staaten gegen die Kräfte des Fortschritts und besonders die Kommunisten. Die USA und die anderen imperialistischen Staaten hatten bewiesen, dass sie nicht vor dem Mittel des Krieges zurückschreckten, um ihre Stellung in der Welt zu halten oder Positionen des Sozialismus zurückzudrängen: Korea, Guatemala, Iran, Vietnam sind hier Stichworte. Nicht ein einziges Mal wurde die DDR von irgend einem internationalen Gremium gerügt. Die selbsternannten Ankläger der DDR klammern aber solche Menschenrechte aus wie das Recht auf Arbeit, auf soziale Sicherheit, auf Schutz der Familie der Mütter und Kinder, auf einen angemessenen Lebensstandard, auf den höchsterreichbaren Gesundheitszustand, auf Bildung usw. Diese Menschenrechte sind in den einschlägigen Konventionen verankert, die zwar von der UNO beschlossen oder von vielen Staaten unterzeichnet wurden, jedoch bis 1972 noch nicht einmal in Kraft getreten waren. Was die leidige Frage der Reisefreiheit betrifft, so berief sich die DDR völlig zu Recht, wie in den Menschenrechtskonventionen gefordert auf ihre Rechtsvorschriften, die restriktive Regelungen vorsahen. Wir wissen, dass gerade solche Probleme propagandistisch ausgeschlachtet wurden und letztlich die Niederlage dieses deutschen Staates nicht unwesentlich begünstigten. Den lautstarken Verfechtern selektierter Menschenrechte soll aber ins Gedächtnis gerufen werden, dass der US-Außenminister Shultz 1982 auf einer Konferenz in den USA forderte "in allen internationalen Gremien und Beratungen mit Menschenrechtsdiskussionen für Spannungen mit den sozialistischen Ländern zu sorgen..." Dieses "Spiel" wurde bis heute nicht abgepfiffen.

Angesichts der Hysterie, die gegen die Sicherung der DDR-Grenze 1961 entfacht wird, stellt sich die Frage, was denn die imperialistischen Kreise der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika für eine Menschenrechtspolitik betrieben, als sie, ohne einen tiefen Schock zu bekommen

Die Öffentlichkeit wurde in der BRD angeheizt, dieses Kriegsabenteuer zu ertragen und mitzumachen, trotz des Verbotes jeglicher Kriegspropaganda.

Ein vielleicht unbekanntes menschenrechtliches Gebot? Nein, zumindest seit 1945 nicht mehr!

Wird nicht durch die wenigen Fakten über das Vorgehen des Imperialismus folgendes deutlich: Das Menschenrecht auf Leben und das Menschenrecht auf Frieden, dem alle Staaten und Völker verpflichtet sind, bestimmte die Politik der DDR und ihrer Freunde, auch und insbesondere in der Entscheidung zur militärischen Sicherung der Staatsgrenzen der DDR?

Die "Mauer" hat vielen Menschen in Europa und besonders in Deutschland das Leben gerettet. Erst die Grenzsicherung ermöglichte die Einleitung des Entspannungsprozesses in Europa. Besonnenen bürgerlichen Kreisen des Westens war dies sofort klar: "Jede Maßnahme, die verhindert, dass das Pulverfass in Brand gesteckt werden kann, ist nicht einzig und allein deshalb schlecht, weil sie von Osten kommt", wusste die französische Zeitung "Libération" schon am 14. August 1961. Konrad Adenauer wusste, wann er verloren hatte, er reiste ungerührt weiter als Wahlkämpfer durch die BRD und besuchte Westberlin erst neun Tage später. Der damalige Westberliner Oberbürgermeister Willy Brandt, dessen Name sich später untrennbar mit dem Begriff der Entspannung verknüpfte, schrieb in jenen Tagen an US-Präsident Kennedy: "Nach der Hinnahme eines sowjetischen Schrittes, der illegal ist und als illegal bezeichnet worden ist ... wird uns allen das Risiko letzter Entschlossenheit nicht erspart bleiben." Mit diesem "Risiko letzter Entschlossenheit" war nichts anderes als die Entfesselung des dritten Weltkriegs gemeint. Kennedy wies den Frontstadtzündler schroff zurück: "Weder Sie noch wir oder irgendeiner unserer Verbündeten haben jemals angenommen, dass wir an diesem Punkt einen Krieg beginnen müssten."

Insofern ist dem stellvertretenden PDS-Vorsitzenden Peter Porsch schon zuzustimmen, wenn er erklärte "die Mauer habe 1961 den Frieden in Europa und der Welt erhalten". Das haben ja auch schon früher hochrangige Politiker des Westens bekundet. Für diese Friedenssicherung wurden bestimmte Härten in Kauf genommen. Diese Härten wären in einem Waffengang noch unerträglicher geworden. Im übrigen, Deutschland wurde viel früher als 1961 geteilt. Es wird Zeit, auch dieses Kapitel der Geschichte und der deutsch-deutschen Beziehungen sachlich zu erforschen und vor der Öffentlichkeit auszubreiten.

Rolf Priemer
UZ vom 13.7.2001


"Der Mauerbau markierte gleichzeitig den Beginn der Ostpolitik: Entspannung statt Konflikt, friedliche Koexistenz statt kalter Krieg."

"Westdeutsche Allgemeine Zeitung"
vom 5. August 1986


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